Mein ödes Leben


Harald Martenstein kämpft mit einer Schreibkrise

Kolumnenschreiben kommt mir so banal vor, so sinnlos. Müllwerker, Friseure, sogar Tätowierer haben sinnvollere Berufe, das, was sie tun, braucht man wirklich. Und sei es auch nur aus ästhetischen Gründen. Sicher, das gesellschaftliche Ansehen und das Einkommen solcher Berufe sind nicht hoch. Aber welches Ansehen hat ein Kolumnist? Er wird doch weder als Literat noch als Journalist wirklich ernst genommen. Er ist weder Fisch noch Fleisch – mein Gott, wie abgegriffen diese Formulierung klingt. Früher hätte ich das besser ausdrücken können. Frischer. Weder Boss noch Prada, weder Poldi noch Klose. Früher wäre mir so etwas gleich als Erstes eingefallen.

Irgendwann heißt es, der schreibt ganz nett, gebt ihm halt eine Kolumne. Das soll eine Auszeichnung sein, in Wirklichkeit ist man damit weg vom Fenster. »Weg vom Fenster« – my goodness, was für eine vernutzte Formulierung. Die dürft ihr mir vom Honorar abziehen. Man kommt ja vor Kolumnenschreiben zu fast nichts anderem mehr. Früher habe ich über alles Mögliche geschrieben, das Universum, Gott, Sexualität, die großen Themen, heute schreibe ich nur noch über mich selber, über mein ödes Leben, meine tristen Probleme, meine Allerweltsmeinungen und meine verdammte Befindlichkeit. Mit welchem Recht? Tausend andere haben mehr zu sagen als ich, sind intelligenter, gebildeter, differenzierter, sogar origineller. Ich bin nicht interessant. Wenn ich in den Spiegel schaue, denke ich: »Das ist doch kein interessanter Mann. Der doch nicht. Ein wirklich interessanter Mann sieht anders aus.«

Sicher, man wird gelobt, man bekommt Zuspruch. Ich jammere zu viel. Ich bin eben ein Jammerlappen. Das kommt von der ununterbrochenen Nabelschau, zu der dieser Beruf einen zwingt. »Nabelschau«! Ich bin so schlecht. »Nabelschau« war der Offenbarungseid. Die anderen Journalisten denken sowieso, dass ich ein eitler Nichtstuer bin. Aus Neid? Nein, um es auf den Neid zu schieben, bin ich letztlich doch zu intelligent. Die haben Recht. Ich bin eitel. Ich bin ein Nichtstuer. Aber es ist auch die Gesellschaft, die mich dazu gemacht hat. Ihr habt zugelassen, dass solche Schmarotzer wie ich leichtes Spiel haben und mit ihren selbstreflexiven Verbalmasturbationen durchkommen. Ich habe es mir nicht ausgesucht. Als junger Mann wollte ich Arzt werden, Anwalt, Lehrer, etwas Sinnvolles und gut Bezahltes. Wissen Sie, was ein Anwalt für einen einzigen Brief bekommt? Wissen Sie, wie lange der Anwalt an dem Brief sitzt und wie lange ich an der Kolumne sitze? Aber es gab den Numerus clausus. Für den Numerus clausus kann ich wirklich nichts. Schafft ihn ab, dann wird so etwas wie ich nie wieder vorkommen.

Jetzt zünde ich mir endlich eine Zigarette an. Ja. Das tue ich endlich. Oh. Wahnsinn. Es ist gut für die Kreativität. Es beruhigt, das ist wissenschaftlich erwiesen. Du stirbst, aber du regst dich wenigstens nicht so maßlos darüber auf wie all die anderen. De facto ist alles halb so schlimm. Ich bin der König der Welt. Ich bin ein Profi, wie Rudi Carrell. Verstehen Sie? Nur aus Respekt vor dem Publikum habe ich immer wieder diese Rückfälle ins Rauchen.

© DIE ZEIT, 28.09.2006 Nr. 40