Kommunikativ


Harald Martenstein über weiblichen Mitteilungsdrang

Wenn ich es richtig verstehe, gibt es nach dem Fall Günter Grass (Waffen-SS) jetzt auch eine Art Fall Jürgen Habermas (Hitlerjugend). Habermas soll im Alter von 13 oder 15 dem damaligen Hitlerjungen und späteren Historiker Hans-Ulrich Wehler einen Zettel geschrieben haben. Auf diesem Zettel soll sinngemäß gestanden haben, dass Wehler ruhig öfter mal zur Hitlerjugend kommen soll, bei der Hitlerjugend ist es doch super, man lernt auch was und so weiter. Jürgen Habermas hat bei der Hitlerjugend nämlich einen offenbar schwach besuchten Sanitätskurs geleitet. Später soll Habermas, um seinen historischen Irrtum zu vertuschen, den Zettel, den Wehler ihm, aus Gründen, die nicht bis ins letzte Detail zu ermitteln sind, zurückgegeben hat, weggeworfen oder aufgegessen haben.

Dazu fällt mir ein, dass Frauen ein anderes Kommunikationsverhalten haben als Männer. Frauen genießen die Kommunikation als solche. Sie finden es schön, sich zu äußern. Männer dagegen möchten mit der Kommunikation fast immer etwas Bestimmtes erreichen. Es ist für sie nur ein Werkzeug. Wenn es nichts für sie Nützliches zu sagen gibt, schweigen sie. Dies hat die Wissenschaft herausgefunden und bewiesen. Deswegen gibt es so viele Moderatorinnen und so wenige Anglerinnen. Moderatoren reden, Angler schweigen. Wenn ich mit Frauen über das Festnetz telefoniere, höre ich im Hintergrund das unablässige Klingeln ihres Handys, oder ich höre das Geräusch, das die pausenlos hereinströmenden Simse verursachen, das Murmeln eines Baches aus sehr wahrscheinlich überflüssigen Wörtern, während ich gleichzeitig das Klackern der Computertasten höre, denn beim Telefonieren schreiben sie gleichzeitig, sehr wahrscheinlich überflüssige E-Mails an ihre Freundinnen und ihre Typen. Männer schreiben E-Mails und telefonieren, wenn sie um eine Frau werben, danach, wenn sie etwas Bestimmtes erreicht haben, hören sie auf damit. Wenn es leider immer noch zu wenige Frauen in Führungspositionen gibt, dann eben auch deswegen, weil Frauen in der für die Karriere oft entscheidenden biografischen Phase um die dreißig ununterbrochen telefonieren, simsen und e-mailen, und zwar aufgrund ihres Frauseins, während die Männer schweigen und arbeiten. Nicht immer ist an allem die Gesellschaft schuld!

Wenn jetzt aber trotz dieses biologischen Handicaps die Emanzipation früher durchgegriffen und von dem Jahre 1810 an weltweit völlige Chancengleichheit bestanden hätte, dann wäre doch wohl heute die führende Schriftstellerperson nicht ein Mann wie Grass, und die alles überragende Philosophengestalt wäre kein Mann wie Habermas. Das wären alles Frauen stattdessen. Die Nazibonzen und Churchill, Roosevelt und die Widerstandskämpfer, das wären alles ebenfalls mindestens zur Hälfte Frauen gewesen. Ich weiß nicht, inwieweit die Geschichte dann erfreulicher verlaufen wäre, aber in einem Punkt bin ich mir sicher. Wenn Grass und Habermas Frauen wären, dann würden wir doch heute, im Jahre 2006, nicht über Dinge diskutieren, die Frau Grass oder Frau Habermas 60 Jahre lang verschwiegen haben. So lange können Frauen doch gar nicht schweigen.

© DIE ZEIT, 02.11.2006 Nr. 45