Deutschstunden

Warum Harald Martenstein kein Lehrer geworden ist

Ich wollte eigentlich Lehrer werden. Also habe ich auf Lehramt studiert. Nach einigen Semestern bin ich als Aushilfsdeutschlehrer an eine französische Schule gegangen. Ich war ein extrem lockerer Lehrer, dies entspricht meinem Wesen, vielleicht sogar meinen Überzeugungen. Die französischen Schüler aber waren die Knute gewohnt. Sie haben mich mehrmals mit Stühlen beworfen. Die anderen Lehrer hatten sie in den vorangegangenen Stunden mit der Knute so sehr gepiesackt, dass sie sich Erleichterung verschaffen mussten. Dazu war ich die geeignete Persönlichkeit. Die anderen Lehrer waren alle Kommunisten. Sie gaben mir zu verstehen, dass sie alle Deutschen, auch die jungen , für Nazis halten. Ich hätte ihnen sehr gerne Filmaufnahmen davon gezeigt, wie ich von den Schülern mit Stühlen beworfen werde, wie ich hinter dem Pult in Deckung gehe und in gebrochenem Französisch rufe: »Ich tu doch keinem was! Goethe! Schiller! Heine!«, dann hätten sie sofort gemerkt, dass dies kein typisch nationalsozialistisches Verhalten ist.

Dann habe ich mich in eine Schülerin verliebt. Sie war 17, ich 23. Daran ist doch nichts Außergewöhnliches. Außerdem war ich nur Aushilfslehrer, und es blieb alles relativ keusch, épargnez-moi les détails. Mir war aber klar, dass es Probleme gibt, wenn die Kommunisten es herausfinden. Die Schülerin lud mich nach Hause ein. Sie wohnte in einem winzigen Dorf, ihren Eltern hatte sie gesagt, ich sei »ein Freund«. Das war nicht gelogen. Der Vater aber hatte einen Draht zur Kommunistischen Partei und wusste genau, wer ich bin. Die ganze Familie erwartete mich im Wohnzimmer. Die Stimmung war so was von eisig. Der Vater sagte: »Meine Tochter heiratet keinen Deutschen.« Ich antwortete: »Monsieur, um herauszufinden, ob ich ihre Tochter überhaupt heiraten möchte, müsste ich sie erst einmal viel besser kennen lernen. « Daraufhin haben sie mich hinausgeworfen. Die Schülerin war ebenfalls sauer auf mich.

Dann wurde ich zum Schuldirektor gerufen. Der Direktor war superwütend und fragte: »Was treiben Sie mit unseren Schülerinnen?« Ich sagte: »Monsieur, ich gehe lediglich mit der einzigen Schülerin, die sich für deutsche Literatur interessiert, hin und wieder spazieren, um mich von der Drachenbrut zu erholen, die Sie an ihrem Busen nähren und die ich hier unterrichten muss.« Dies war beinahe die Wahrheit. Der Direktor schrie los: »Sie verlassen die Schule! Ich informiere die deutschen Kultusbehörden, péderaste, monstre!« Es war wie in einem stalinistischen Schauprozess.

In diesem Moment wurde mir klar, dass ich für den Lehrerberuf nicht geschaffen bin, auch nicht für den Kommunismus, nur für die Liebe. Deswegen bin ich heute Autor, liberal und schreibe diese Kolumne.

Heute habe ich, zum ersten Mal seit Monaten, meinen Namen gegoogelt. In dem Internet-Lexikon Wikipedia stand über mich: »Der hoch begabte Kolumnist macht regelmäßig mit antifeministischen Predigten auf sich aufmerksam und gesellt sich zu Namen wie Matthias Matussek und Frank Schirrmacher.« Warum hacken immer alle auf mir herum? Warum? Ich tu doch keinem was. "

© DIE ZEIT, Oktober 2006